In den vergangenen zwei, drei Wochen ist soviel Bewegung, Abgrenzung und Erweiterung im Netz, speziell im Bereich Social Media zu erleben, dass es mir sinnvoll erscheint, die sich abzeichnenden Social Media Trends zu sortieren und einzuordnen; bedeuten sie doch sowohl aus Nutzer- als auch aus Unternehmenssicht Änderungen in der Kommunikation.

Und nein, damit meine ich nicht die angeblichen Facebook Konkurrenten: ELLO, is THIS me TSU looking for? DROPON! (Neue Netzwerke? Die Nummer ist seit über drei Jahren durch.)

Nein, ich spreche hier über Datenschutz, Social Shopping, Info- und Entertainment, Enterprise Social Networking und geschlossener Kommunikation in offenen Netzwerken.

1. Datenschutz

Es ist müßig, die Tage seit den Enthüllungen von Snowden zu zählen. Zu wenig hat sich politisch oder gesellschaftlich getan. Doch die vermehrte Nutzung von Clouddiensten, der immer wiederkehrende und medial begleitete Diebstahl von Passwörtern und Inhalten aus der iCloud, aus der Dropbox, aus Snapchat hat tatsächlich zu höheren Ansprüchen der Nutzer und zu einem Umdenken der großen Player zumindest in der Kommunikation geführt.

Während Google seinen Transparenzbericht veröffentlicht und sein Wissen aus dem Surfverhalten des einzelnen Nutzers bekannt gibt (was ernüchternd ist, wenn Google mich mit elektronischer Musik und Backwaren in Verbindung bringt), bemüht sich Facebook um die Aufklärung durch die richtige und ausführliche Benutzung der Privatsphäre-Einstellungen auf einer eigenen Seite.

Was eigentlich Kopfschütteln verursachen sollte, ob der späten und unvollständigen Implementierung, aber fast so etwas wie leisen Applaus auslöst: WhatsApp ermöglicht die sichere Peer-to-Peer Kommunikation zwischen zwei Nutzern. Zwei, nicht drei, vier, fünf oder 27. Aber das kommt dann vielleicht auch irgendwann …

Um Sicherheit, Privatsphäre seit jeher bemüht, ist der Browser Firefox, der sich nun aus der exklusiven Partnerschaft mit Google gelöst hat und zumindest außerhalb von Europa mit alternativen Startseiten arbeitet. Die Ankündigung ein eigenes mobiles Betriebssystem zu veröffentlichen, lässt erahnen, dass aus der Beziehung zu Google keine Freundschaft mehr wird und legt zumindest die Vermutung nah, dass Firefox in naher Zukunft womöglich mit einem eigenen Dashboard, einem Aggregator oder sogar einer eigenen Suche an den Start geht.

2. Social Shopping

Im Online-Handel ist Amazon das Maß aller Dinge und auch dem Menschenhandel und speziellen Steuerdeals nicht abgeneigt. Und während Google mit den Ablegern Books und Shopping eher stagniert, baut der Handelsriese seine Marktstellung mit e-Readern, Online-Videotheken, Datingplattformen, Clouddiensten und zukünftig als Reiseportal weiter aus.

Und obwohl Facebook bisher mit verschiedenen Ansätzen scheiterte, am Online-Handel finanziell zu partizipieren, brachte Pinterest das Thema zurück auf die soziale Agenda. Ähnlich wie beim Kurznachrichtendienst Twitter ist ein ‚Kaufen‘ Button für Produktlinks ab dem kommenden Jahr im Gespräch. Möglich wird dies witziger Weise erst durch Apple Pay, den ersten weiter reichenden Ansatz zum Mobile Payment. Natürlich bringt auch Paypal (aus der ebay Familie) entsprechende Vorraussetzungen mit, jedoch ähnlich wie beim von Snapchat und Square kürzlich gestarteten Snapcash nur über den Umweg ins Internet, bei der Apple Variante reicht die pure Anwesenheit des Smartphones.

So oder so geht es an diesem Punkt auch um Datenschutz und die Bereitschaft (sowie den Wunsch) der Nutzer auf diesem Weg einzukaufen. Zumindest in Deutschland darf man an einer zeitnahen Durchdringung zweifeln. (‚Möchten Sie Geld abheben?‘ ‚Nein, aber ich will mit meiner Kreditkarte bezahlen.‘ ‚Das geht nicht. Sammeln Sie Herzen?‘)

3. Info- und Entertainment

Jaja, da wollen alle mitspielen und machen sich gelegentlich größer als sie sind. Google hat kürzlich, vielleicht als verspätete Reaktion auf die LSR Initiative mit ein paar Anpassungen auf der News-Seite reagiert. Bild, Welt, Abendblatt (Springer) haben bis zu 60% weniger Einblendungen im Vergleich zum Vormonat, über die freigewordenen Plätze freuen sich unter anderem Sport1, DerWesten und Spiegel Online wie Seolytics berichtet.

Doch mit leistungsfähigeren (sowie größeren) Smartphones und Netzen geht es natürlich nicht nur um Texte oder Klickstrecken, sondern immer mehr um Videos. Instagram erlaubt neben Sponsored Posts nun auch die Schaltung von Videoanzeigen und eröffnet sich damit ein zweites Geschäftsfeld: Werbespots dürfen max. 15 Sekunden lang sein und müssen erstens quadratisch und zweitens den inhaltlichen Ansprüchen des Netzwerkes genügen. (Eine Herausforderung für Unternehmen und Agenturen, aber Instagram konzipiert und produziert sicher gerne mit. Dafür bekommen werbetreibende Instagrammer eine Analys Dashboard und dürfen Bildbeschreibungen nachträglich ändern.)

Die aus dem selben Haus stammende App Hyperlapse für Zeitraffervideos unterstreicht den oben angesprochenen Trend zu Videoinhalten.

Natürlich ist das auch nicht an Facebook vorbeigegangen. Nicht nur, dass der Stream von unbezahlter Werbung weiter gesäubert wird, das Netzwerk präsentiert inzwischen besonders gern Videos und zwar solche, die auf der eigenen Plattform hochgeladen wurden. Links zu Youtube oder Vimeo sehen über kurz oder lang nur noch aus wie Links und müssen sich mit einem nativ kleinen Voraschaubild auch optisch in die zweite Reihe stellen.

Doch der Gedanke eines sozialen Netzwerkes ist für Youtube scheinbar gar nicht mehr so entscheidend. Sie bieten sich den von Netflix, Watchever und Prime demokratisierten Fernsehgewohnheiten an und werden mehr und mehr Kanäle präsentieren und Bewegtbilder nach Sehgewohnheiten empfehlen. Der erste Schritt dahin ist der Reiter Musik, der neben Empfehlungen und Abos angezeigt wird, der zweite ist die gestartete und äußerst mutige Werbeflut, die zur Zeit zelebriert wird. Youtube plant im dritten Schritt unter großem Interesse der Contentfabrikanten Abomodelle – zum Beispiel für Musik – , die den Videokonsum ohne Werbung finanzieren sollen.

Kostenlose Musik zu jeder Zeit im Abo und im Netz gespeichert? Spotify, Soundcloud (seit neuestem mit Warner Music verbandelt) sowie Apple, die mit Beats ein musikalisches Netzwerk passend zu den Kopfhörern etablieren wollen, werden sich das sehr genau angucken müssen. Zumal der werbewirksame Spotify-Verzicht von Taylor Swift, zu einem plötzlichen und rasanten Anstieg der Klickzahlen auf ihrem Youtube Vevo Account sorgte (9,5 Mio. Abonennten, 90 Mio. Aufrufe von Blank Space in zwei Wochen). Hoffentlich verdient sie jetzt noch genug an der Werbung …

Denn natürlich ist es kein Zufall, dass auch Google mit dem gerade gelaunchten Contributor zunächst auf dem US-Markt ähnliches vorantreibt und sowohl die Websuche als auch ausgewählte Seiten wie Mashable oder The Onion werbefrei anzubieten.

Ob die Lösung der großen Medienkrise ist, dass der Nutzer zwar auf kostenlosen Inhalten und Gratis-Konsum besteht, aber bereit ist, Geld in die Hand zu nehmen, wenn es weniger poppt und blinkt, wird abzuwarten sein.

Zumindest wird das Vorgehen von Youtube und Facebook zeitnah dafür sorgen, dass Sponsored Story Telling und Content Marketing Elemente in Bewegtbild verstärkt auf Facebook gespielt werden und zwar im Gleichschritt mit verwackelten, mehrstündigen Konzertaufnahmen und lustigen Tierportraits. Wie die GEMA mit der Situation umgehen wird, darf mit Spannung beobachtet werden. Nirgendwo auf der Welt sind so viele musikalische Youtube-Inhalte gesperrt und der deutsche (Musik-)Markt zählt zu den lukrativsten; für die Künstler, aber auch für die Digital-Verwerter.

Schließlich hat auch Twitter den Plan noch nicht aufgegeben, auch ein Stück vom Videokuchen abzukommen und sich weiterhin mit Instagram um eine gute Platzierung im Social Media Ranking zu streiten. Nach den Kurzvideos der Stand-Alone-App Vine sollen zukünftig auch direkt Videos in Twitter hochgeladen und bearbeitet werden. Doch nur wenn Twitter sein Alleinstellungsmerkmal der Echtzeitkommunikation in Form von unsortierten und ungefilterten Nachrichten beibehält und die Videofunktion genau in diesem Bereich etabliert, kann dies ein erfolgversprechender Schritt sein.

Vielleicht bietet es sich in diesem Zusammenhang sogar an, mit Formaten wie The Voice, HalliGalli oder dem Neo Magazin zu kooperieren, die es nach Jahren traurig stimmender Konzepte und Moderatorinnen geschafft haben, zumindest den Second Screen á la Twitter auch in Deutschland zu akzeptieren und vor allem kreativ, auch vor und nach der Erstausstrahlung im TV, zu bespielen.

4. Enterprise Social Networking

Dass das Internet und speziell die sozialen Netze mehr als eine Spielwiese sind, hat sich langsam aber sicher herumgesprochen. Der Austausch von Wissen, die gemeinsame Entwicklung von technischen und untechnischen Lösungen, die globale Zusammenarbeit von Teams und Einzelkämpfern ist die gute Seite der Medaille und hat einiges an Ticketsystemen, Projektmanagement Tools und weiteren Software as Service Lösungen hervorgebracht. Das schöne für die jeweiligen Anbieter: die Frage nach der Monetarisierung stellt sich hier – anders als in den klassischen sozialen Netzwerken – nicht. Das jeweilige Unternehmen zahlt für eine Dienstleistung.

Und während Microsoft im Bereich Social Media gar nicht bis kaum aufgefallen ist, hat es sein Portfolio unter anderem mit seinem Betriebssystem, mit den Office Paketen, mit Skype, mit Yammer und mit der Partnerschaft zu Dropbox erstaunlich breit und erstaunlich gut aufgestellt, um ein vielversprechender Ansprechpartner für kleine und große Unternehmen zu sein, wenn es um digitale und soziale Lösungen geht. Und erstaunlich wenig daraus gemacht.

Natürlich hat dies viel mit dem Coolness-Faktor von Bill Gates und seinem Internet Explorer zu tun und wahrscheinlich viel mit internen Strukturen. Googles Angebote, entstanden aus dem gesammelten Wissen der Suchmaschine, mit Drive, mit Gmail, mit dem Hangout, mit den verschiedenen Web(master)-Tools und zuletzt mit der Verknüpfung über Google My Business, waren und sind in Haptik, Anwendung und Zeitgeist näher dran an den Startups und Early Adaptern.

Und während Xing und LinkedIn noch überlegen, wie sie mit ihren Akquisitonen von Amiando bis Slideshare wertvoller für Unternehmer und Unternehmen werden können und neue Gruppenfunktionen ausspielen (Xing) oder Titelbilder auf Personenprofilen erlauben (LinkedIn), sickert der Plan eines Facebook at Work durch.

Abgesehen davon, dass neben den benannten Business-Netzwerken auch Microsoft und Google direkt angegriffen werden, macht diese Ausrichtung als Projektmanagement Tool durchaus Sinn. Facebook ist in der Altersgruppe von 25 bis 40 ‚gelernt‘, die Vernetzung auch unter Mitarbeitern gang und gäbe. Deadlines, Gespräche, die Dateienablage, Monitoringelemente sowie die direkte Kommunikation zwischen zwei oder mehr Personen sind bereits jetzt umsetzbar. (Und mit jetzt meine ich seit Jahren, wie ich hier im Sommer 2012 schon einmal angedeutet habe.)

Natürlich bleibt auch hier die Frage nach dem Datenschutz – und das bei empfindlichen Firmendaten auf einer anderen Ebene als beim Persönlichkeitsrecht der Nutzer. Doch entscheidender für den Erfolg wird sein, ob Facebook das kann (und die ist mit ja zu beaantworten) und wie das Preis-/Leistungsverhältnis sein wird. Denn klar ist, die Finanzierung über Werbeanzeigen und Sponsored Posts wird hier nicht funktionieren. Im Gegenteil, mit einer neuen Einahmequelle schafft sich Facebook ein zweites finanzielles Standbein und versetzt sich so möglicher Weise in die Lage, den Stream der Nutzer im ‚privaten‘ Netzwerk mit weniger Werbeeinblendungen vollzustopfen oder eben einigermaßen entspannt, für Nachrichten und neuerdings Gruppen eigene (werbefreie) Apps anzubieten.

5. Geschlossene Kommunikation in offenen Netzwerken

Neben der Abwanderung der Kommuniaktion aus dem öffentlichen Stream in den privaten Chat, auch im Zusammenhang mit den Erfolgen von WhatsApp – als Sharing Button und Traffictreiber – sowie Snapchat, stehen die Entwicklungen bei Pinterest, mit einem eigenen Chat, und Twitter für einen neuen Trend zu mehr statt weniger Privatheit (die Kinderfotos und -videos, die wahrscheinlich auch weiterhin auf Facebook gespielt werden setz ich hier mal in Klammern).

Es ist erstaunlich, wie Twitter als beinahe Letzter auf diesen Zug aufspringt, immerhin war es vor Jahren der Ursprung des Microbloggings, Informationen in SMS Länge zu verbreiten, dass Tweets nun auch als Direct Message geteilt werden können, war in diesem Zusammenhang wohl eher eine Frage der Ausrichtung, als der technischen Umsetzbarkeit. Das private Nachrichten nun  verbessert, nutzerfreundlicher gemacht werden sollen, geht voraussichtlich mit dem Ziel einher, den klassischen Gruppenchat in den Dienst zu integrieren.

Dass sich spontan und in Echtzeit Gruppen zu einem Thema, einer Veranstaltung, einem Hashtag ggfs. auch mit einem Unternehmen austauschen können, passt zu den Möglichkeiten und bestehenden Vorteilen von Twitter. Weniger erfolgsversprechend wäre der Ansatz sich gegen Kommunikationswege wie den Facebook Messenger oder WhatsApp durchsetzen zu wollen, die darauf basieren, das die Gesprächsteilnehmer bereits ‚Freunde‘ sind und/oder bereits  Telefonnummern getauscht haben.

tl;dr: Du hast an allen Social Media Trends, die ich mir ausgedacht habe vorbei gescrollt, nur um das hier zu lesen? Bitte noch mal von vorn.

Für alle anderen: Die uninspirierten Geschäftsmodelle Sozialer Netzwerke (Stand: Oktober 2012)