Es hört einfach nicht auf. Google möchte offizielle und alleinige Weltmacht werden und hält eine weitestgehende Kopie von Facebook (nämlich Google Plus) für etwas total neues, wichtiges und wegweisendes Tool – und ja, Design können sie besser als der blaue Riese. Ashton Kutcher wirft mit seinem Spielgeld nach Berlin und finanziert mit getamen.com den langerwarteten Dislikebutton für das Netz, um sich kurz und knapp über Menschen und Marken auszulassen (gutfinden geht natürlich auch, macht aber nur halb so viel Spaß). Und jetzt gibt es neben vielen anderen neuen Diensten auch noch chime.in …
Bezogen auf diese drei (und alle anderen, die in den letzten Monaten dazugekommen sind) behaupte ich: zum Scheitern verurteilt, zumindest was den jeweils kommunizierten Ansatz betrifft.
Google hat sich mit dem Netzwerk gewordenen Additionszeichen selbst übertroffen. Nach den Misserfolgen von Buzz und Wave war das aber auch nicht sonderlich schwer. Man jubelt laut über mehrere Millionen und fragt sich zurecht leise, warum es nicht Millarden sind. Immerhin sprechen wir von der Company mit den meisten Besuchern und Nutzern weltweit. Und es ist und war das daraus resultierende Selbstverständnis immer die Nummer 1 sein zu müssen, sich mit dem Dienst zu messen, der in Sachen Verweildauer und Traffic der größte Konkurrent um Werbeeinnahmen geworden ist: Facebook.
Doch Google hat Zuckerberg & Co. unterschätzt. Zu groß ist der Vorsprung in Bezug auf Social Media und weiterführender Anwendungen. Die Idee ein handlicheres Oberflächendesign zu erschaffen und Möglichkeiten zu offerieren, die Facebook bis dahin fehlten, führte zu einem kurzen Ahhh und Ohhh in der Szene. Aber Facebook hat kühl und sachlich reagiert.
- Die Circle-Idee – nicht schlecht, wir optimieren unsere Listen (und auch die Abonennten Funktion ist spätestens seit Twitter keine Offenbarung mehr).
- Der Hangout – schöne Idee, wir tun uns mit Skype zusammen.
Auch die Diskussion um die Frage, wem die Daten gehören, hat Facebook berücksichtigt. Die Posts intuitiv und bezogen auf die Zielgruppe zu personalisieren ist auch nichts mehr, was die Dienste nennenswert unterscheidet. (Und ganz ehrlich, Datensicherheit als Argument für oder gegen einen der Dienste anzubringen ist so ähnlich, wie zwischen den Krankheiten Pest und Cholera wählen zu dürfen. Sei’s drum.)
Jedenfalls sind die Vorschusslorbeeren verpufft, die Zahlen stagnieren. Google Plus wird Businessprofile offerieren, es wird Apps geben – aber ich bezweifle, dass Mark Zuckerberg deswegen unruhig schläft.
Google Plus ist schon jetzt ein Tummelplatz für die üblichen Verdächtigen. Techies, Geeks, Nerds, Menschen, die als Blogger, Referenten oder Dienstleister Geld im Internet verdienen. Es ist eine Art socialmediaexpertenVZ und das ist genauso despektierlich gemeint, wie es klingt. Posts und Neuigkeiten, die parallel auf Twitter und Facebook diskutiert werden, finden auch hier ihre Beachtung. Das Netzwerk ist deshalb aber nicht überflüssig. Nicht nur Apple, sondern auch Google hat seine Jünger, die auf Android schwören und jede Neuerung aus dem Hause bejubeln. Für sie ist Google Plus das Netzwerk der ersten Wahl. Auch diese Zielgruppe wird sich monetarisieren lassen – davon bin ich überzeugt – und darüber hinaus bindet Google hier eine Herrscharr von Kommunikatoren, um Produktneuheiten zu testen und auf den Markt zu drücken, ohne auf die Reichweite eines Facebooks angewiesen zu sein.
Venture Capital aus den U.S.A., Loft Büros in der Haupstadt, große Artikel in den Printmedien (u.a. Welt und SPIEGEL) für eine Idee, die so einfach ist, dass sie genial sein muss. Finde etwas gut oder schlecht und bekommen dafür ein Amen bzw. ein Hell no! – ui, wie provokativ … Sicher, die Idee verfängt und überzeugt mit Niedrigschwelligkeit und Spieltrieb. Aber wie lange soll das halten? Wie toll oder eben nicht toll etwas ist, kann ich auch so meinem Social Graph entnehmen. Ich kann ihn sogar selbst fragen, ohne getamen.com zu nutzen.
Der Dienst glaubt einen Weg gefunden zu haben, die oft zitierte Schwarmintelligenz endlich zu bündeln und zu monetarisieren. Ich glaube nicht daran. Es ist zu banal, um Nutzer zu binden. Es ignoriert, dass solche Services von Eigenwerbung überschwemmt werden, um dann anschließend von der Masse (soweit überhaupt vorhanden) wieder geerdet zu werden.
Die Chance besteht, dass beispielsweise Facebook den Dienst integriert oder Google die Technik übernimmt, um eigene Angebote bezogen auf Suchergebnisse oder den neuen Hotelfinder zu optimieren. Aber ob das zur Re-Finanzierzung führt, ist zumindest zweifelhaft, der neue heisse Scheiss wird es absehbar jedenfalls nicht.
Der neue Dienst von UberMedia geht einen anderen (vielleicht folgenschweren) Weg. Zwar legt sich der Dienst nicht mit Facebook an, lässt sich aber schon zum Twitter-Killer hochstilisieren. Chime ist eine sehr ansehnliche und handliche Beta eines Social Networks. Man kann folgen und verfolgt werden, man kann Medien teilen, Updates kommentieren, liken, sichern und man kann Gruppen anlegen. Und alle so: Und nun?
Chime.in nimmt etwas ins Visier, was noch keinem Dienst gelungen ist, nämlich das verfolgen und im Auge behalten von Themen, unabhängig der Freunde in diesem Netzwerk (Chimepansen?). Natürlich kann man bereits in anderen Netzwerken suchen und Communities finden, um zu einem bestimmten Thema auf dem Laufenden zu bleiben. Aber das widerspricht der allseits verkündeten These, Inhalte nicht mehr zu finden, sondern von diesen gefunden zu werden.
Die Sache hat nur einen Haken: Inhalte wollen eingestellt werden, von Menschen. Erst diese machen ein Netzwerk interessant. Als Rudel- und Gewohnheitstiere sind wir da, wo unsere Freunde sind und nur in den seltensten Fällen dort, wo wir Freunde finden wollen. Das gab es auch mal, lag aber daran, dass dieses Internet noch nicht in (fast) alle Lebensbereiche vorgedrungen ist und von (fast) allen Bekannten gleichermaßen genutzt wurde. Es war die Langeweile, die uns das seltene Vergnügen neuer Bekanntschaften ermöglichte. Wie gesagt, gefunden werden oder empfohlen bekommen hat das suchen längst ersetzt.
Wenn es Chime.in nun gelingt, ein funktionierendes, soziales Netzwerk um Themen statt um Menschen zu stricken, verdienen sie allergrößten Respekt – und trotzdem wird es für sie nicht reichen. Google, Facebook und vielleicht sogar Twitter haben die Power, den Algorithmus nachzubauen oder – weniger kompliziert – UberMedia auszubezahlen. Aber wer braucht schon das ganze Netzwerk? Die Benannten jedenfalls nicht.
Fazit
Es gibt noch zwei Möglichkeiten mit einem neuen Social Media Dienst Erfolg zu haben. Die eine ist, auf technische Weise einen Bedarf zu decken, der dem Denken der großen Netzwerke entspricht. Heißt, Code zu verkaufen oder sich in das jeweils bestehende Portfolio eingliedern zu lassen. Die zweite Möglichkeit besteht in der Ansprache einer kleinen, aber klar definierten Zielgruppe, die etwas wirklich braucht, bereit ist dafür zu bezahlen (oder Werbung zu ertragen) und maximal eingeschränkt die Möglichkeit besitzt Satisfaktion zu erlangen (Longtail).
Die Zeiten, in denen ein neuer Dienst (wie einst MySpace, Facebook, Twitter) wie Phönix aus der Asche steigt, sind lange vorbei. Fragen die bleiben, sind die nach dem Bestehen von Twitter oder dem Ausgang des Zweikampfes LinkedIn und Xing in Deutschland (‚And the Winner is Facebook?‘).
Zum Abschluss noch eins: Ich kann mich irren und ich werde wieder zu den ersten gehören, die Neuigkeiten im Web erstens testen und zweitens verreissen. Erstens weil ich muss und zweitens weil ichs kann.
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