Twitter wird schon immer gehassliebt!

… mit der Öffnung der Direct Messages, der Übernahme von Periscope und spätestens mit der Präsentation von Moments (alles 2015) keimte die Hoffnung auf, dass der kleine, blaue Vogel vielleicht erkennt, dass sein Mehrwert doch nicht in der Platzierung und dem Konsum von Anzeigen liegt, sondern in der einzigartigen Verbreitung und Dokumentation sowie Diskussion von Ereignissen und Erlebnissen in Echtzeit. Und warum sollte dieser USP ein tragfähiges Geschäftsmodell ausschließen?

Doch die Formel dazu sollte sich nicht darauf beschränken erst Nutzer und dann Firmen zu gewinnen, um schließlich mit Werbung Geld zu verdienen. Das hat schon in TV und Print nicht soo gut funktioniert … sind Umfragen und Herzen die Lösung?

Der Reihe nach, in umgekehrter Reihenfolge:

R.I.P. Favstar

Wie sehr Twitter immer noch geliebt wird, zeigt die erwartbar hitzige Diskussion vieler Nutzer auf die Einführung des Herzens als Like statt des Sterns für das Favorisieren. Nur wenigen Usern war der Stern schnuppe. Warum also die Anpassung?

Zu verwirrend meint Twitter und übersieht, dass diese Verwirrung den eigentlichen Charme ausgemacht hat.

Denn der Stern bedeutete einen Tweet zu mögen, drüber zu lachen, den Absender zu unterstützen, einen Link zu bookmarken, etwas gelernt zu haben, eine Erfahrung zu teilen … Also mehr als jeder Emo-Balken unter einem Bild- oder Buzzfeed Artikel je abbilden kann.

Klar, für Neulinge reihte sich dieser vielstimmige Stern in die kryptischen Zeichen @ und # ein (aber zumindest die werden doch inzwischen verstanden, oder?).

Also doch eine plumpe Annäherung an den Facebook-Kosmos? Like statt Fav. Es ist vor allem schade um Wortschöpfungen wie ‚jemanden ordentlich durchfaven‘ und das ewige Twitter-Ranking auf Favstar FM. Das waren noch Zeiten! Und überhaupt: der Failwhale …

Alter Mann erzählt von Früher

Im Zusammenhang mit den Herzen das hohe Lied der Vereinheitlichung in der Unternehmenskommunikation (Twitter, Vine, Periscope) zu singen bzw. zu zwitschern, ist in so fern strange, dass ausgerechnet das jüngste Familienmitglied die optische Marschrichtung vorgibt.

Aber trotzdem glaube ich nicht, dass das Herz einmal rückblickend für den Durchbruch oder das Ende von Twitter verantwortlich gemacht werden kann.

A pro pos Twitter-Umfragen

Das zweite Feature ist auch erst ein paar Tage alt und etwas, was dem Eingangs erwähnten USP entspricht bzw. dem Geschäftsmodell zuträglich sein könnte. Interessanter Weise sind Umfragen so alt wie dieses Social Media, ein Kern-Element. Leute fragen Leute, Leute antworten (zum Teil auch ungefragt).

Bis Twitter seine Schnittstelle für Entwickler schloss und Fremddienste verbote, gab es bereits ein paar Tools, die das Frage/Antwort-Spiel mit Twitter mehr oder weniger praktikabel verknüpften, damals jedoch noch auf externen Webseiten.

Wie gut integrierte Umfragen funktionierten, um Fans einzubinden konnte man auch lange auf Facebook beobachten …

Ist der alte Mann immer noch nich‘ fertig?

… bis das Feature nach und nach eingestellt wurde und inzwischen als App kostenpflichtig angeboten wird.

So viel zum Vorwurf, Twitter passe sich immer mehr Facebook an. Im Gegenteil, Facebook, wie alle – bzw. die wenigen – großen Dienste, schauen sich ihre Wettbewerber und die Markttrends genau an, um Rückschlüsse für eigene Produkte und Neuheiten zu ziehen.

Der Vorteil für Twitter liegt momentan im immer noch chronologischen Stream und der Möglichkeit durch Interaktionen Tweets organisch erstens wieder nach oben und zweitens in neue Lesezirkel (Hashtag #altermann) zu pushen.

Schon jetzt sind die Einsatzmöglichkeiten vielseitig (Gewinn- oder Tippspiele, Marktforschung, Produktentwicklung…), die Hemmschwelle niedrig und die Auswertung simple, das Potenzial aber ist noch lange nicht ausgeschöpft.

Das solche Twitter-Umfragen zusätzlich mit Anzeigen begleitet werden können, liegt auf der Hand, macht aber immer noch deutlich mehr Sinn als bestehende Print- und Videoformate mit klassischen Werbeinhalten ins Twitteruniversum zu pressen.

So oder so ist es ziemlich wahrscheinlich, dass Twitter aus den Umfragen ganz generell ein Bezahlfeature für Unternehmen machen wird*.

Achtung, steile These:

Damit würde Twitter etwas gelingen, was die meisten Social Media Kanäle noch nicht geschafft bzw. noch nicht einmal versucht haben: ein Angebot zu monetarisieren, dass inhaltlich und semantisch zum jeweiligen Dienst passt, sich an bestehende Fans, Freunde, Follower richtet, aber eben ein Tool verkauft und nicht die ungewollte Präsenz im Stream der User, um am Ende per View, Click oder Buy abzurechnen. Es würde ganz gut zu einem sozialen Netzwerk passen.

*und ja, diese optional mit besonderen Werbemöglichkeiten flankiert, blablabla.