Kritische Stimmen zur Digitalisierung im Allgemeinen und zu Online-Diensten im Speziellen sind so alt wie die entsprechenden Utopien der letzten Jahrhunderte. Doch ausgerechnet jetzt, wo Verständnis und Benutzung digitaler Tools generations- und branchenübergreifend eher Normal- als Ausnahmezustand sind, wird wieder vermehrt von Risiken statt von Chancen gesprochen.

Einen nicht unerheblichen Anteil an dieser Diskussion hat mit Sicherheit ‚The Circle‘ von Dave Eggers aus dem letzten Jahr, in dem ein fiktives Netzwerk Mitarbeiter und Nutzer im digitalen Würgegriff hat. So würde es also aussehen, wenn Google, Facebook, Amazon und Apple fusionieren. Natürlich ist das beängstigend, aber eben auch nur Fiktion.

Die Idee hat vielleicht auch Andrew Keen zu seiner Abrechnung ‚The Internet is not the Answer‘ (auf dt.: Das digitale Debakel) inspiriert, zumindest steckt auch dahinter die These, dass die Digitalisierung eben nicht zu Vielfalt und Freiheit führt, sondern erstens zu Monopolisten und zweitens zu einer wachsenden Ungerechtkeit und auseinander driftenden Bildungsschichten.

The Winner takes it all

Die erste These belegt Keen damit, dass es jeweils nur ein relevantes Google, ein Facebook, ein Instagram, ein Amazon, ein Uber und ein Airbnb gibt, die ihren Konkurrenten in Sachen Nutzerzahlen bereits enteilt sind oder sich finanziell in der Lage befinden, aufstrebende Wettbewerber jederzeit übernehmen zu können.

Die zweite These zielt zum einen auf die Entpolitisierung des Netzes, die Ohn- bzw. Unmacht der nationalen und internationalen (aber nicht ansatzweise globalen) Gesetzgeber sowie der Abhängigkeit der Volkswirtschaften. Staatliche und gesellschaftliche Strukturen werden ignoriert, umgangen oder ausgehebelt. Transparenz und Vielfalt in Bezug auf Informationen und Produkte verschwinden, wenn Kultur und Güter immer über dieselben Webseiten und Apps konsumiert werden; das von Keen vermutete Ergebnis: Gleichschaltung, Irreführung und Verdummung.

Uber- und Unterschicht

Zum anderen, und auch diese Befürchtung ist mindestens so alt wie deine Mudda, ersetzt die Digitalisierung, genauer die Entwicklung künstlicher und sich selbst reproduzierender/potenzierender Intelligenz, angeblich nach und nach den menschlichen Arbeiter. Und da weniger Arbeit, weniger Geld und weniger Geld, weniger gesellschaftliche sowie kulturelle Teilnahme bedeutet, erwartet nicht nur Keen eine neue, digitale Elite und eine breite, abgehängte Unterschicht.

Als Andrew Keen seine Thesen Anfang April im Basecamp Berlin präsentiert hat, wurde der Digitalisierungsexperte und Managing Director bei Telefonica Peter Rampling ebenfalls auf die Bühne gebeten. Zum einen als Gastgeber und zum anderen wahrscheinlich um die anwesenden Digital Natives zu beruhigen. Vor allem aber hat er ein entscheidendes Problem der Digitalisierung angesprochen – ich vermute aus Versehen. Es geht um die Sichtweise der Unternehmen. Er sprach über Chancen und Möglichkeiten, die in der Vermutung gipfelten, die Nutzer wollen und können zu jeder Zeit Daten bekommen, das sei doch großartig.

Entweder hält Rampling seinen Arbeitgeber (oder große Unternehmen an sich) für die alles entscheidenden und zu befriedigenden Nutzer oder seine Beziehung zum Kunden ist, naja, kompliziert. Nutzer wollen keine Daten, sie wollen Unterhaltung, Konsum, Service, Qualität, Convenience, Ablenkung und Information; auch gern zu jeder Zeit und an jedem Ort. Und genau das ist die eigentliche Herausforderung der Digitalisierung.

Die Rechte der Verbraucher, die Pflichten der Profiteure

Um dem Kunden die gewünschten Vorteile zu liefern, werden Daten benötigt. Und natürlich ist es unternehmerisch eine Herausforderung, diese Daten erstens nicht bis auf die Unterwäsche zu personalisieren und zweitens nicht auf alle Zeiten zu speichern. Unmöglich ist es nicht. Hier müssen Standards geschaffen werden, die den Nutzer schützen, ohne ihn zu bevormunden und die im Übrigen nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Politik gelten sollten.

Ein Anfang könnte die Facebook Sammelklage von Max Schrems im Namen von 25.000 Nutzern sein. Doch zunächst muss tatsächlich noch definiert werden, was bzw. wer ein Verbraucher ist. Das spricht Bände.

Und auch an einem zweiten Punkt muss das Verhältnis zwischen Staat und digitalen Unternehmen zurecht gerückt werden. Nämlich an dem der gesetzlich festgeschriebenen Abgaben. Natürlich ist es schwer vorstellbar, die Steuersysteme in Europa geschweige denn in der Welt zu vereinheitlichen. Aber es sollte möglich sein – zumindest innerhalb Europas – nicht den Firmensitz des Anbieters sondern den Wohnsitz des Nutzers bzw. Käufers als Grundlage für die Besteuerungshöhe und das entsprechende Abgabeland zu definieren, auch wenn Irland und Luxemburg dass nicht soo gut finden würden.

Mit diesen beiden Schritten, dem Datenschutz auf der einen und der Beteiligung der Gewinne an der Gesellschaft auf der anderen Seite, bestünde für einen ausufernden Kulturpessimisus kein Grund. Entsprechende Gelder könnten und sollten dann in Bildung, Infrastruktur und Förderprogramme investiert werden. Und auch wenn dadurch kein ernsthafter Google-, Facebook-, Amazon-Konkurrent entstehen würde, ist noch genügend Platz und Luft für digitale Ideen.

Statt den Markt zu bekämpfen, sollte eher versucht werden von diesem zu profitieren. Doch auch wenn die politisch Verantwortlichen gern von Zukunftsfähigkeit sprechen, fehlt hier grenzübergreifend eindeutig das passende Personal.