Das wurde aber auch Zeit, alles wurde mit allem unnötig sozialisiert, jedes Unternehmen, jedes Magazin, jeder Schlüsseldienst, jeder Justin-Bieber-Verschnitt und selbst die Bundesregierung hat jetzt eine Facebook-Seite. Alle Welt probiert sich in neuen, unpassenden und teilweise auch bereits toten Kanälen aus, um die Zielgruppe anzukumpeln. Dafür war das soziale Netz aber weder gedacht noch gemacht.

Doch es ist okay wie ist. Man muss es halt nur wissen. Vor allem, wenn man als Social Media-, Community-, Digital Manager, Social Media Berater oder eben Social Media Dozent in diesem Bereich unterwegs ist bzw. als Auftraggeber eben diese ’sozialen Netzwerke‘ für sich entdecken, erobern und vielleicht sogar retten möchte.

Soziale Netzwerke vertragen sich nicht mit Professionalisierung

Es wurden Köpfe geschüttelt, Bücher geschrieben, Vorträge gehalten. Es wurde gepitcht und vor allem gelästert. Worst Cases waren die Königsdisziplin unter den selbst oder fremd betitelten Social Media Experten. Schnee von gestern.

Die Kommunikation über angeblich soziale Netzwerke wird nicht mehr Praktikanten und studentischen Hilfskräften überlassen. Sie ist angesiedelt bei der PR, dem Marketing, dem Kundenservice, der Geschäftsführung – je nach dem. Professionelle Social Media Manager werden händeringend gesucht, Berater und Agenturen beauftragt; endlich und zu Recht.

Soziale Netzwerke werden nicht mehr sozial, sondern kommerziell genutzt. Und ausgerechnet die Betreiber der Plattformen werden mit ihren Tools und Features zum Totengräber ihrer ursprünglichen Ideen und Ideale. Oder es war von langer Hand geplant.

In fünf Schritten zum Gegenteil von Social Media

1. Nutzer binden

Es fängt immer so schön an: echte Menschen geben echte Meinungen von sich, als Absender oder zumindest als Antworter (sic!). Das Interface ist neu, die Möglichkeiten sind spannend, das gab es noch nie, hier zählt der User und seine Meinung, wirklich, und vor allen Dingen muss man das ganz dringend weiter erzählen:

Lustige Gruppennamen, GIFs funktionieren, und was die oder der da gerade veröffentlicht hat ist super, hier wird Spaß groß geschrieben und man lernt noch was, macht alle mit!

2. Unternehmen anlocken

Aus der Bespaßung in VZ-Gruppen werden Content Strategien für unterschiedliche Text-, Bild- und Videoplattformen.

Die jeweils zur Verfügung gestellten Insights und Werbemöglichkeiten sollen gewinnbringend genutzt werden, rechtlich sauber, inhaltlich vollständig und die Befindlichkeiten der Abteilungen berücksichtigend … aber nie die Fans, Freunde und Follower vergessen!

Ein Anforderungsprofil zu dem ergänzend jugendliche Frische und jahrelange Erfahrung hinzugekommen sind und das mittlerweile genauso ausgeschrieben wird.

Damit beginnt der Kampf, um Zeit, Interesse und Budgets von Unternehmen, was komplett vorwurfsfrei gemeint ist und aus kurzfristiger, wirtschaftlicher Perspektive absolut nachvollziehbar … (Mist, jetzt liest man den Vorwurf doch raus.)

Targeting plus Sichtbarkeit, also zielgruppengerechte, individualisierte Ansprache, keine bis wenig Streuverluste, Messbarkeit. Das ist nicht Klowand des Internets, das ist der heilige Gral der Online-Werbung …

3. Reichweite bezahlen lassen

Heilige Grale (ist das die Mehrzahl?) sind bekanntlich schwer zu bekommen, das Erobern, Anfassen, Erleben, Vorzeigen macht süchtig und die Nachfrage bestimmt das Angebot.

Du hast es probiert, du willst mehr davon? Das wird leider sehr teuer.

Ja gut, Datenschutz ist ein Problem, aber es ist so unglaublich einfach, Leute zu belästigen anzusprechen, die als Interessenten, Kommunikatoren, Botschafter oder Käufer in Frage kommen. Es gibt zwar zwei bis 41 Dinge, die man bei etwaigen Postings beachten muss, aber entscheidend ist natürlich die 42ste. Denn wichtiger als Content, Verlinkung, Verschlagwortung, Vorschaubild, Teasertext, Duktus, Timing … ist das Geld.

4. Publisher werden

Nun sind zwischen Schritt 1 und 3 sowohl Menschen als auch Unternehmen misstrauisch geworden. Die Nutzer verlieren die Lust am Veröffentlichen und die Unternehmen bekommen mit, dass Nutzer abwandern oder sich zumindest kommunikativ zurück halten.

Publishing wurde Ende 2014 als einer der Trends 2015 beschrieen bzw. beschrieben. Und natürlich, wenn Freunde darauf warten, dass Freunde oder Idole etwas posten, muss man die Wartezeit verkürzen. Wenn die verbliebenen aktiven Nutzer für sich selbst oder um die Wette produzieren und bookmarken, werden sie eben Bestandteil des jeweiligen Werbe-Systems.

Yahoo vermarktet über Tumblr und Flickr Kreative, Youtube lässt vermarkten, Tsu beteiligt direkt.  Twitter will kein Microblogging-Dienst mehr sein, sondern ein von Werbung durchsetztes Interessensnetzwerk, das die Fans nah bei Zweitligaspielern und H-promis sein lässt. Und Auch LinkedIn sieht sich selbst als Publisher, genau wie die zuletzt als Rettung des sozialen und mehrwertigen Netzes gehypten Medium, Plague, Snapchapt und Yo.

In der Blogosphäre wird die werberelavante Zielgruppe befragt, welches Netzwerk gekannt, welches genutzt wird. Und von der Generation X bis zur Generation Z sind die Antworten nahezu identisch: Passiv auf Facebook, Instagram, Youtube, Flickr, Slideshare, Twitter, Pinterest, YouNameIt … Aktiv auf WhatsApp, Messenger und AnotherServiceByYourChoice.

Natürlich gibt es User, die sich transparent erzählend, (micro-)bloggend, fotografierend, filmend, songschreibend, trackbauend oder sich auf Pinterest oder YouNow präsentierend der Öffentlichkeit zeigen, aber sie sind nichts anderes als Marken und, ja, eben Publisher; und damit – prozentual gesehen – eine Seltenheit im so genannten sozialen Netz (siehe 90 – 9 – 1 Regel).

5. Dialog ein- bzw. ausgrenzen

Passiver Konsum bedeutet Visits, Klicks, Aufenthaltsdauer, aber die Währung aktiver (angemeldeter und womöglich sogar publizierender) Nutzer wiegt als Verkaufsargument schwerer. Doch wenn digitale Aktivität, sich auf Zweier- oder Gruppenchats beschränkt, sind genau solche Funktionen entscheidend für den Erfolg eines werbefinanzierten Netzwerkes.

Facebook hat WhatsApp und den Messenger, Twitter baut die Direct Messages aus und Disqus verbindet die Stickyness von Neuigkeiten und Dialog sogar im kürzlich erschienenen Relaunch. Pinterest-Gründer Evan Sharp (geiler Name!) versteht sein Baby übrigens eher als Bookmarking Dienst denn als Social Network – trotz Chatfunktion.

Und der Alles-Außer-Social-Könner namens Google? Trennt Fotos und Hangout von Google+. Buzz und Wave werden sich freuen, den verloren gegangenen Bruder auf dem Friedhof der Nuscheltiere wieder zu sehen.

Aber: wer benutzt G+ für das verbreiten und taggen von Aufnahmen (außer die Streetview Cars)? Doch, auch das sei zugegeben, mit der Abspaltung der Hangouts als ‚Streams‘ könnte Google tatsächlich einen technischen Vorsprung gegenüber anderen Messengern erlangen und als Instant Text- und Videokommunikator eine wichtige Rolle spielen.

Jetzt ist es (r)aus

Der Ursprung der sozialen Netzwerke, dieses ominösen Web 2.0, waren Blogs. Die Fortsetzung davon Podcasts, Video- und Microblogs, schließlich Datingplattformen sowie die Veröffentlichung von Posts, Bildern und Videos (oder Pressemitteilungen), aber ohne ’social‘ ging es eben nicht.

Aus One-To-Many wurde Many-To-Many; Kommunikation auf Augenhöhe, Austausch, Kollaboration unter Gleichgesinnten, Freiheit sowie Gleichheit … für’n Arsch (sorry, hör gerade das namensgebende WIZO Album auf Youtube).

Zwar ist technisch jede und jeder – mit Internetanschluss – in der Lage alles zu veröffentlichen, doch im wirklichem Leben besteht die selbe Konkurrenz wie auf Flyern, Plakaten, im Zeitungskiosk, in Radio und Fernsehen. Sender und Empfänger verschmelzen nicht. Es gibt nur mehr Sender, die um die selbe Zeit der Empfänger buhlen.

Sozial, im ursprünglichen Sinn, ist das schon lange nicht mehr. Liebe Unternehmen bitte rettet das soziale Netz mit Authentizität, Transparenz und echtem Dialog.

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