Es hat sich also herausgestellt, dass die NSA (der für die Sicherheit des Landes – im Selbstverständnis der Welt – zuständige Geheimdienst) Programme nutzt, um Daten, Dinge und Dialoge digital auszuspionieren. Und damit nicht genug: der britische Geheimdienst tat es auch!

Russland, China, der Iran … okay. Aber unsere Freunde und Bündnispartner?

Die Unruhe – nicht nur im Internet – war groß und die Kanzlerin beschwichtigte:

Das Internet ist für uns alle Neuland.

Sie meinte: Spionage dient der Terrorabwehr und wenn solche Maßnahmen auch mal unschuldige, unbescholtene Staatsbürger treffen, muss man das als Kollateralschaden hinnehmen. Wir haben doch nichts zu verbergen.

Nein?

Es stellte sich heraus, dass die NSA nicht nur Terrorverdächtige, nicht nur Bürger, sondern auch Regierung und Parlament nicht nur auf bundesdeutscher Ebene ausspioniert.

Aus Regierungssicht etwas völlig anderes. Das tut man unter Freunden nicht (Merkel), es ist an den USA Vertrauen wieder herzustellen (Westerwelle).

Eine kleine Zeitreise:

Oktober 2011; der Bundestrojaner hält die Welt (also die der Deutschen) in Atem. Der BND vergab Aufträge an die Privatwirtschaft zur Cyber-Spionage, installiert aus der Ferne Programme auf den Computern von Verdächtigen, liest mit und verhindert vielleicht sogar das eine oder andere Verbrechen.

November 2010, Wikileaks veröffentlicht geheime Depeschen der USA mit Insiderberichten von politisch verantwortlichen oder zumindest ambitionierten Politikern in der ganzen Welt. (Assange hält sich seitdem in London auf. Aus Angst vor dem Vergewaltigungsprozess in Schweden oder der Auslieferung an die Staaten – wegen Hochverrat?)

Nur zwei Beispiele zu technischen Möglichkeiten und tatsächlichen Zielen von Geheimdiensten. Der deutsche Geheimdienst tut so etwas nicht? Oder trauen wir es den Schlapphüten nach NPD-Verbotsverbot und der Mißerfolgsserie in Bezug auf die NSU einfach nicht zu?

Und so neu ist es auch gar nicht. Sascha Lobo hat einen Spiegel Bericht aus dem Jahr 1989 ausführlich zitiert. Es ging um die NSA, technische Hilfsmittel und die Spionage von Regierung und Opposition – auch und gerade in Deutschland.

Die Vermutungen und Vorwürfe, dass die Überraschung der politisch Verantwortlichen nur gespielt ist, häufen sich ebenso wie Nutzerzahlen alternativer Suchmaschinen und Bauanleitungen für sichere Router oder stylische Tarnkappen. Zu Recht?

Es gibt in diesem Fall nur zwei Möglichkeiten.

1. Alle wussten davon. Von Kanzlerin Merkel über Außenminister Westerwelle und den ehemaligen Kanzleramtschef Steinmeier bishin zu Ströbele (Mitglied einer Regierungspartei). Das wäre schlimm bzw. traurig, weil sich die Befürchtung, der Politik nicht vertrauen zukönnen, bestätigen würde.

2. Sie wussten wirklich nichts von alledem. Und das wäre nicht nur schlimm und traurig, sondern beängstigend. Sämtliche Institutionen hätten versagt oder – noch schlimmer – ihre Vorgesetzten über Jahre und Jahrzehnte verarscht.

Allein diese Frage sollte dringend und noch vor der Wahl geklärt werden.

Die zweite offene Frage ist die über die Zukunft von Edward Snowden, dem Whistleblower, was abenteuerlicher klingt als es ist. Er hat veröffentlicht, was nicht veröffentlicht werden durfte, was politische Entscheider weltweit hätten wissen müssen und Verschwörungstheoretiker weltfremd erscheinen lässt (aber diesmal aus einem anderen Grund).

Snowden wurde zur Persona Non Grata ernannt, sein Pass gesperrt. In den USA erwartet ihn ein Prozess wegen Hochverrats, der je nach Bundesstaat und Richter die Todesstrafe zur Folge haben kann. Natürlich ist er somit entgegen der gestrigen Stellungnahme von Innenminister Friedrich ‚politisch verfolgt‘ und muss um Leib und Leben fürchten.

Sollte es soweit kommen, werden so manchem Spaß-Kommentator (‚Informer‘ – Snow auf der Flucht) und Dessous-Werber (There is still a lot to uncover) die kreativen Leistungen im Halse stecken bleiben müssen. (Hat Sixt schon irgendwas mit Fluchtauto gebracht?)

Wie der oben erwähnte Ströbele richtig erkannt hat, schützt und bezahlt Deutschland Bänker, die moralisch womöglich richtig aber dennoch auf illegale Art und Weise Steuerhinterzieher anzeigen.
Deutschland gewährt – zu Recht – Zeugenschutzprogramme für Aussteiger und Informanten aus der Naziszene.

Zugegeben schwierige Vergleiche, aber wir haben nichts anderes. Vielleicht kann man sich über Fragen nähern:

Ist die Welt seit den Veröffentlichungen von Snowden (oder Assange) wirklich unsicherer, gefährlicher geworden? Hat sich überhaupt etwas geändert, wird sich etwas ändern? Und inwieweit sind sich die USA und Russland und UK und China und der Iran und die BRD womöglich darin einig, potenzielle ‚Whistleblower‘ nachhaltig abzuschrecken?

Es wäre ein Zeichen gewesen, Snowden trotz Bündnistreue und entsprechender Abkommen Asyl zu gewähren und ihn zu schützen. Ein Zeichen für Meinungsfreiheit, Bürgerechte und Demokratie.

Nun wird er wahrscheinlich zum Propaganda-Instrument in einem zwielichtigen Staat.

Ergänzung: Den Blick auf die Rolle der ehem. Friedensnobelpreisträger (die EU, den US-Präsidenten) und die aktuellen deutschen Staatsoberhäupter wirft Friedemann Karig.