Eine Unverfrorenheit! Ein Blogpost von jemandem der es gerade mal geschafft hat, zwei Sessions und ein paar Zerquetschte zu besuchen. Eine davon war der Vortrag von Thomas Pfeiffer zum Thema (Ãœberraschung!) Echokammern. Es ging darum, dass sich Individuen eben nicht – oder selten – ihre eigene Meinung bilden, sondern sich Influencer suchen, die bestehende Meinungen stützen und Quellen in Anspruch nehmen, deren Thesen dem eigenen Denken zumindest nahe kommen. Es wird leicht fallen, diese Feststellung zu bestätigen, wenn man einen Blick in seinen Facebook-Freundeskreis, sein Twitter-Netzwerk oder eben seine Tageszeitung wirft und die Ergebnisse mit den persönlichen Vorlieben für Musik, Politik und Bayern München vergleicht.

‚gleich und gleich gesellt sich gern‘

Das weiß der Volksmund seit mehreren hundert Jahren und doch verdeutlicht das Netz und seine Netzwerke diese Fragmentierung und macht sie vor allem sichtbarer denn je. Immerhin is der Webevangelist (sic!) Pfeiffer kein Webpessimist und sieht eine Durchlässigkeit, eine Verbindung zwischen den Echokammern, die ausreichen sollte, um sich nicht völlig abstumpfen zu lassen. Das garniert und erklärt er mit ausgiebigen Recherchen und Berechnungen des gesamten deutschsprachigen Twitteruniversums und einer Sezierung seiner 1.000 Facebook Freunde. Seinen linken Zuhörern empfiehlt er noch schnell das regelmäßige Studium des Münchener Merkurs und lässt das Publikum erleichtert und zufrieden zurück. Das klingt ein wenig danach, dass Echokammern self made sind und unterschlägt, dass die Segmentierung der Zielgruppen im Netz – durch Followempfehlung, bereinigte Streams auf Facebook, Suchergebnisse in Google mit Quellen aus dem eigenen bekannten Social Graph – beabsichtigtes und nachvollziehbares Ziel der erfolgreichen Player im Internet ist.

Vernetzung ist super und Austausch ist wichtig, doch am Ende wollen auch die offensten Netzwerke Geld verdienen und das geschieht im Zusammenspiel aus maßgeschneiderter Werbung und hoher Aufenthaltsqualität. Der menschliche Drang nach Bestätigung der eigenen Meinung wird im Netz nicht nur widergespiegelt, sondern bewusst verstärkt. Wichtig hierbei ist folgendes: Jede Fragmentierung bedarf einer gewachsenen kritischen Masse. Aber was sagt diese vergleichsweise einfache Erkenntnis über das Event Re:publica an sich?

Chillen im Elfenbeinturm

Die Gruppe der im Netz aktiven Menschen wächst. Dazu brauchen wir kein Diagramm der Facebook-Nutzerzahlen. Mit den Menschen, kommen die Unternehmen und damit wird der Bedarf an – und die Macht von Menschen erhöht, die sich scheinbar auskennen und die vermitteln sollen. Und wer kein Eingeborener (Digital Native) ist, möchte einer werden, in dem er dabei ist und dabei bleibt. Wer möchte denn nicht dazugehören, wenn es so hip, cool und trendy ist, dass die, die draußen bleiben, im wahrsten Sinne des Wortes ‚out‘ sind.

Das und nichts anderes ist das Erfolgsrezept der Re:publica, die vor vier Jahren als engagiertes Blogger Event begann und vor allem anders, besser, spezieller sein wollte. Die selbst ernannte digitale Boheme hat sich vor allem selbst gefeiert für ihre Liberalität sowie ihren Freiheits- und Gleichheitsdrang. Das klingt nach Revolution, war aber oft nur ‚Chillen im Elfenbeinturm‘, da sich das Revolutionäre nur auf die Entwicklung der technischen Möglichkeiten beschränkt hat. Visionen werden nicht entwickelt oder antizipiert, Visionen werden erst zur Kenntnis genommen und dann als eigenes Gedankengut präsentiert – Echokammer Galore. Pro-aktive Weiterentwicklung: Fehlanzeige.

In den letzten Jahren wurde – ganz deutsch – der Ausverkauf der Veranstaltung kritisiert. Geschenkt. Spannender ist der Vorwurf der angeblich falsch gewählten Ãœberschriften in den vergangenen Jahren.

Die Stichpunkte:

  • zu banal
  • zu tiefsinnig
  • zu abgehoben
  • zu anbiedernd

fassen die Kritikpunkte ganz gut zusammen und zeigen vor allem die fehlende Konstruktivität der Masse. In diesem Jahr zogen die Veranstalter die Konsequenzen und verzichteten auf ein Motto. Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, wo das Internet unausweichlich massenkompatibel wird. Das Bundespresseamt twittert, die Revolution in Nordafrika wird auch digital geführt, Facebook wird zum Netz im Netz und liefert sich einen Datensicherungswettkampf mit Google, der Zensus, ein Aprilscherz zu zertifizierten Social Media Beratern geht als zu glaubwürdig unter, das Internet ist nicht nur mobil verfügbar, sondern gestaltbar … aber die Re:publica braucht kein Motto?

Das könnte erklären, wie es zu Vorträgen kommt, in denen Referentinnen über Blogs sprechen, in denen Zahlen von 2008 und früher präsentiert werden und die Zukunft anhand von Statements beschrieben wird, die 20 Blogger abgegeben haben oder der Bereich Bildung von einem Panel diskutiert wird, welches die Diskussion noch nicht einmal in die Gegenwart hieven kann. Das kann aber nicht erklären, warum eine Magisterarbeit zum wichtigen Thema Öffentlichkeit im großen Saal vorgelesen (!) wird und sieben Twitterer als Referenz herhalten müssen.

Quantität scheint die Qualität abzulösen, auch wenn es neben Thomas Pfeiffer weitere echte Leuchttürme gab. Gunter Duck wurde gefeiert, ebenso wie Julia Probst und Mario Sixtus. Lobo wurde gefeiert und verachtet. Über die Performance-Schwierigkeiten des W-Lan und Konnektivität an sich wurde geschimpft. Also alles wie gehabt. Bis auf die Tatsache, dass mit der Masse an Besuchern und der Masse an Vorträgen, die Kapziäten gesprengt wurden und zahlende Gäste ausgesperrt werden mussten.

Überraschender Weise konzentrierte sich die berechtigte Kritik jedoch auf die Online-Kanäle. Offline hat man selten und trotz aller Schwierigkeiten so viele glückliche und entspannte Blogger-Gesichter gesehen. Was war passiert?

Der erste Facebook Event zur #rp11 (den ich mitbekommen habe) hieß ‚Klassentreffen 2011‘. Und wahrscheinlich ist es genau das. Die Möglichkeit sich einmal im Jahr offline mit bekannten und unbekannten Menschen aus der Szene zu vernetzen, miteinander zu sprechen – die Aus- und Weiterbildung ein schöner Nebeneffekt wenn überhaupt.

Am Ende zitierten die Veranstalter, vermutlich unbeabsichtigt, Westerwelle mit dem ungefähren Wortlaut ‚wir haben verstanden‘. Heißt, es soll im nächsten Jahr eine neue größere Location geben. Doch das geht (wie bei Westerwelle) am Thema vorbei. Stattdessen braucht es eine Ãœberschrift, braucht es anregende und qualitative Vorträger und Vortragende, braucht es Platz zum Netzwerken und zum miteinander arbeiten, tüfteln und basteln.

Wir brauchen Vorreiter und Vordenker, wenn es um den Umgang mit dem Internet geht. Ziele und Visionen, wie wir digital und analog leben wollen.

Diese Rolle könnte die Re:publica übernehmen. Oder sie fragmentiert die eben noch von Markus Beckedahl ausgerufene Digitale Gesellschaft.

Nachtrag:

Wer es weniger weniger differenziert oder ausführlicher mag, kann ja hier noch mal reingucken – die Echokammer der dt. Blogosphäre ;)